DAS ENDE DER BUTTERFAHRTEN VOR 25 JAHREN: SCHNäPPCHENFAHRT UND RENTNERSAUSE

Bereits am 7. Juli 1981 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Abgabenfreiheit auf den umgangssprachlich als „Butterschiffe“ bezeichneten Wasserfahrzeugen auf Nord- und Ostsee als mit dem EG-Recht für unvereinbar erklärt. Bis dahin war es möglich, während eines Tagesausflugs ins Ausland Waren im Duty-Free-Shop preiswert einzukaufen und abgabenfrei nach Deutschland einzuführen. 

Im Inneren der Schiffe gab es Selbstbedienungsläden, besonders beliebt waren Tabak, Spirituosen und Parfüm sowie die damals in Dänemark im Vergleich zu Deutschland günstige Butter. Sie avancierte schon bald zur Namensgeberin der Fahrten, die häufig fast zum Nulltarif oder zu einem geringen, symbolischen Preis angeboten wurden.

Schon Jahre vor der Abschaffung der Butterfahrten wurden auf politischen Druck seitens der deutschen Wirtschaft erschwerende Bestimmungen erlassen. Aber mehrere Versuche, die Subventionen ganz abzuschaffen, waren an Protesten von Reedern, Busunternehmern, Gewerkschaften und Politikern gescheitert. Vor der Freigabe der günstigen Einkäufe mussten die Schiffe zolltechnisch gesehen im Ausland anlegen. So entstanden kuriose Situationen, indem die nächstgelegenen dänischen oder polnischen Häfen angesteuert wurden und lediglich ein ausgeworfenes Tau um einen Poller am Kai geschlungen und kurz darauf sofort wieder gelöst wurde. Damit hatte das Schiff formal angelegt, erfüllte die Vorgaben und konnte zurückfahren.

Für zahlreiche Rentnerinnen und Rentner stand jedoch nicht das günstige Einkaufen im Vordergrund. Sie schätzten vor allem die Gesellschaft, die sich zum Teil zu eingeschworenen Gruppen entwickelte. Manche fuhren mehrmals in der Woche hinaus, um den ganzen Tag für wenig Geld in geselliger Runde unterwegs zu sein. Die Schnäppchenjagd an Bord war einfach eine Zugabe.

Die Geschichte der Butterfahrten begann an der Flensburger Förde. Auf der einen Seite der schmalen Meeresbucht an der Ostsee liegt die deutsche Küste mit Flensburg, auf der anderen Seite das dänische Kollund. Als die Sperrzone in diesem Gebiet nach dem Zweiten Weltkrieg aufgehoben wurde, durften deutsche Schiffe wieder am Nordufer Dänemarks ankern. Der Unternehmer Orla Werner Rasmussen aus Sønderburg charterte 1952 ein altes aufliegendes Passagierschiff und bot Fahrten übers Meer nach Deutschland an. An Bord verkaufte er nun außerhalb der Zollgrenze Alkohol, mit verplombten Kisten voller Flaschen verließ sein Schiff täglich das dänische Hoheitsgebiet und verköstigte die Passagiere steuerfrei mit den sonst teuren Spirituosen.

Rasmussen war jedoch kein Reeder und besaß keine Lizenz, deshalb ging er eine Kooperation mit der alteingesessenen deutschen Förde-Reederei aus Flensburg ein. Sie befuhr fünfmal täglich mit ihren beiden Schwesterschiffen „Forelle“ und „Libelle“ eine Verbindung von Flensburg ins dänische Kollund und zurück. Die kurze Fahrt dauerte lediglich 20 Minuten und kostete 70 Pfennig, inklusive Rückfahrt 1,10 Mark – Kinder zahlten die Hälfte. Die Aufmerksamkeit für die „kürzeste Schiffsroute ins Ausland“ nahm schnell zu und zog nicht nur einkaufswillige Bewohner der Region an. Rasmussen wollte das lukrative Geschäft nicht allein den Deutschen überlassen und gründete daraufhin die Hansa-Linie. Nun ging es nicht mehr darum, lufthungrige Passagiere, sondern einkaufsdurstige Kundinnen und Kunden zu bedienen.

Die Dänen konsumierten den preiswerten „Snaps“ an Bord, einige Gäste blieben gleich auf den hin- und herpendelnden „Spritdampfern“ sitzen und vergnügten sich nonstop. Im Gegenzug erwartete die Deutschen in Kollund ein Kolonialwarenladen, der nicht nur Butter zu einem Drittel des deutschen Preises anbot. Anfang der 1950er-Jahre war trotz des Wirtschaftsaufschwungs die Arbeitslosenzahl in der Bundesrepublik noch immer recht hoch. Nach und nach entdeckte die Bevölkerung aus dem Umland die Preisvorteile des zollfreien Einkaufs, bald kamen auch aus Hamburg, Bremen und Hannover ganze Familien und Reisegruppen.

Der deutsche Einzelhandel in der Region protestierte und fürchtete massive Einbußen. Die Flensburger Presse berichtete am 18. September 1958, dass an Bord der Hansa-Linie „amerikanische Zigaretten und andere begehrte Artikel“ verkauft würden, „das Geschäft dieser Linie liegt nicht in der Personenbeförderung, sondern in dem Kantinenverkauf an Bord. So soll an dem dortigen Verkaufspreis für eine Schachtel Zigaretten der Verdienst 50 Prozent betragen.“ Die Zahl der Fahrgäste war 1958 innerhalb eines Jahres von knapp 70.000 auf mehr als 530.000 gestiegen; im selben Jahr eröffnete der erste Duty-free-Shop auf dem Frankfurter Flughafen.

Betroffen von der Neuregelung im Jahr 1999 waren vor allem die Ostseefähren. Zwar war ihr Hauptgeschäft der Transport von Passagieren und Fracht, aber der steuerfreie Verkauf an Bord machte mitunter bis zu 40 Prozent ihres Umsatzes aus. Nach dem Verbot der Butterfahrten verloren zahlreiche Menschen ihren Arbeitsplatz. Viele Butterfähren wurden abgewrackt oder fanden neue Einsatzorte in Südosteuropa, Nordafrika und im Nahen Osten. Andere wurden modernisiert und werden immer noch als Fähre oder im Liniendienst eingesetzt. Auch heute bedienen Schiffe die typischen Butterfahrt-Routen von früher. Statt der Schnäppchenjagd geht es aber jetzt um das Beisammensein und den Spaß auf einem Schiff. So wird die dänisch-deutsche Tradition weitergeführt.

Die wenigen Gewinner der EU-Entscheidung von damals saßen auf Helgoland. Denn die Insel gehörte auch weiterhin nicht zum Zollgebiet der EU. Der Ursprung der Steuerfreiheit liegt in der Zeit der englischen Herrschaft von 1807 bis 1890. Bei der Übergabe wurde im Caprivi-Vertrag festgelegt, dass die unter englischer Herrschaft eingeführten Sonderregelungen auch unter „Deutscher Flagge“ Bestand haben sollten.

Für eine Stange Zigaretten und einen Liter Spirituosen lohnt sich die Überfahrt allerdings nicht, denn die Schiffspassage kostet mindestens 58 Euro. Ganz anders sieht die Rechnung bei edleren Waren aus. Wer eine Kiste mit teuren Zigarren oder Luxusmode kauft, kann ein paar Hundert Euro sparen. Neben dem Zoll fällt auch die Mehrwertsteuer weg. Die gekauften Waren dürfen aber einen Gesamtwert von 430 Euro nicht überschreiten.

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