REISEN IN DIE UKRAINE: "WIR VERZEICHNEN WACHSENDES INTERESSE AM KRIEGSTOURISMUS"

Die Ukraine steht für Krieg und menschliches Leid, aber nicht für Reisen. Dmytro Nikiforov bietet dennoch geführte Touren durch ehemaliges Kampfgebiet. Als rein kommerzielles Projekt will er das Angebot nicht verstanden wissen. Er wolle versuchen, "die Aufmerksamkeit der Welt auf den Krieg zu lenken".

Dmytro Nikiforov: Ich bin Mitgründer einer Anwaltskanzlei. In den ersten Monaten nach Kriegsbeginn waren alle unsere persönlichen Bemühungen darauf gerichtet, Militäreinheiten in Kiew und Umgebung zu helfen, auch bei der Kommunikation zwischen Ausländern und Ukrainern. Im August 2022 bat mich ein Pole, der einen kurzen Dokumentarfilm drehen wollte, ihn in dem Gebiet zu begleiten. Nach den drei Tagen wurde mir klar, dass solche Touren ein Mittel sein können, die Aufmerksamkeit der Welt auf den Krieg zu lenken.

Ja, so entstand "War Tours". Es meldeten sich nicht mehr nur Journalisten bei uns, sondern Leute, die die Folgen des Kriegs vor Ort sehen wollten. Wir erkannten das Potenzial, den Tourismus zu nutzen, um zu zeigen, wie wichtig die anhaltende Unterstützung der ukrainischen Armee mit Waffen ist.

Wir verzeichnen wachsendes Interesse am Kriegstourismus. Möglich ist, dass es ähnliche Angebote in anderen Teilen der Ukraine gibt, ohne dass ich davon weiß. Es kann auch sein, dass unabhängige Reiseführer oder lokale Veranstalter vergleichbare Touren anbieten. Kürzlich bat ich einen Freund in Charkiw, einen amerikanischen Touristen zu begleiten. Danach teilte er mir mit, dass er jetzt ebenfalls solche Touren anbieten will.

Viele buchen unsere Leistung aus beruflichen Gründen: Journalisten, Entwicklungshelfer, Dokumentarfilmer. Aber wir haben auch eine wachsende Zahl gewöhnlicher Touristen. Die allermeisten sind zwischen 25 und 35 Jahren. Sie kommen aus verschiedenen Ländern, etwa Großbritannien, USA, Italien, sogar China und Malaysia. Die Touren kosten pro Teilnehmer zwischen 150 Dollar durch Kiew und 250 Dollar durch die Region, wozu Butscha und Irpin gehören.

Nein. Sie zu ermitteln, ist während des Krieges schwierig, im Grunde unmöglich. Zwar ist neben dem Kriegstourismus ein spürbarer Anstieg insbesondere in den westlichen Regionen, die vom Krieg weitgehend verschont werden, zu verzeichnen. Doch liegt die Gesamtzahl weit unter dem Vorkriegsniveau.

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Jenseits beruflicher Gründe ist es vor allem historisches Interesse. Gerade Jüngere wollen verstehen, was hier passiert. Reisen in das Kriegsgebiet sind wie Besuche von KZ-Gedenkstätten, die uns daran erinnern, wie wichtig es ist, Faschismus zu bekämpfen, so wie es jetzt gilt, die Orks niederzuringen. Eine Rolle spielt auch, dass Solidarität mit der Ukraine gezeigt werden soll. Und vermutlich auch Abenteuerlust.

Es gibt immer ein Risiko. Aber jeder, der die Grenze zur Ukraine überquert, ist sich dessen bewusst. Die Touristen akzeptieren dieses Risiko. Wir tun alles, was wir tun können, sie zu schützen. Wir wissen, wo der nächstgelegene Schutzraum ist, und können ihn bei Luftalarm rasch aufsuchen. Wir denken darüber nach, unseren Kunden eine Lebensversicherung anzubieten. Nur ist es schwer, ein Unternehmen zu finden, das sie anbietet.

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Ich verstehe, dass einige Leute so denken. Der kommerzielle Aspekt steht aber nicht im Vordergrund. Wäre es so, würde ich Werbung machen und noch mehr Leute einstellen. Aber das will ich nicht. Mir helfen Reiseführer, Übersetzer und ein Fahrer - alle müssen von etwas leben. Das ist im Krieg nicht einfach. Ein Teil des Erlöses aus den Touren kommt direkt den ukrainischen Streitkräften zugute. Das ist unsere Investition in die friedliche Zukunft des Landes.

Ich habe nicht aufgehört, als Anwalt zu arbeiten, seit der Krieg begonnen hat. Die Kanzlei arbeitet für ausländische Unternehmen, die in der Ukraine tätig sind. Und es ist toll, dass wir mitunter Anfragen ausländischer Firmen bekommen, die trotz des Krieges in der Ukraine tätig werden wollen. Wenn potenzielle Investoren nach Kiew kommen, mache ich für sie persönlich die gleichen Touren, die wir Touristen anbieten. Das ist auch für mich wichtig. Meine Eltern und die Familie meines Bruders haben ihr Haus in Oleschky nahe Cherson verloren und mussten fliehen. Die Stadt ist von Putins Truppen besetzt. Das ist mein Antrieb, weiter Touristen zu zeigen, was hier geschehen ist und geschieht.

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Schon als Kind habe ich mich sehr für Geschichte interessiert. Und als ich verschiedene historische Bücher las, wurde mir klar, dass die Russen die Ukrainer jahrhundertelang als Feinde betrachteten und in den 1930ern sogar einen Genozid an uns organisierten. Und jetzt wieder. Ich weiß, dass die Geschichte zyklisch ist, und wenn wir Frieden haben, wird auch der vorübergehend sein. Die Welt sollte verstehen, dass die einzige Chance für den russischen Präsidenten, an der Macht zu bleiben, darin besteht, einen Feind außerhalb zu haben. Ich bin mir sicher, dass die Orks ihre Aggressionen fortsetzen werden, was die baltischen Länder vermutlich zu spüren bekommen werden. Leider. Ich fürchte also, dass wir in den nächsten Jahren keinen Frieden haben werden.

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