ICH BIN NACH ECUADOR AUSGEWANDERT – DAS LEBEN HIER IST GüNSTIGER UND DIE WORK-LIFE-BALANCE BESSER

Seit unsere Autorin nach Ecuador auswanderte, pflegt sie eine ausgewogenere Work-Life-Balance. Sie ist froh, dem für sie hektischen Alltag in ihrer Heimat Kanada entkommen zu sein.

Ich denke häufig an jenen Tag zurück, an dem ich erstmals Cuenca erreichte. Damals war mir die Andenstadt in Ecuador noch völlig fremd – doch einem Zufall verdanke ich es, dass ich sie heute mein Zuhause nenne.

Damals reiste ich allein in einem Bus an. Der Himmel über mir war dunkel, und so hoch in den Bergen herrschten eisige Temperaturen. Die Gipfel der Anden erstreckten sich meilenweit, ohne dass ich irgendwo auch nur ein Anzeichen von Zivilisation ausmachte. Auf 4000 Metern Höhe schlängelte sich der Bus über die Serpentinenstraßen die Berge hinauf.

Ich versuchte, mich abzulenken, als sich Sorgen in mir breit machten, ob das hier der richtige Trip für mich war. Doch alles, woran ich denken konnte, war: „Ich hätte in das Flugzeug nach Toronto steigen sollen.“

Ich bereiste Ecuador anfangs als Rucksack-Touristin – inzwischen lebe ich hier seit sechs Jahren

Das war im Jahr 2018, als ich mit 27 Jahren zwölf Monate lang durch Südamerika reiste. Die ersten sechs Monate meines Abenteuers verbrachte ich in Kolumbien. Doch dann wurde ich aus dem Land ausgewiesen, weil ich unbeabsichtigt mein Visum überzogen hatte. Glücklicherweise besuchten mich zu dem Zeitpunkt Freundinnen und Freunde, mit denen ich alsbald eine Rucksack-Reise antrat.

Wir erkundeten Ecuador, bis sie wieder ihr Flugzeug zurück nach Kanada bestiegen. Ich wiederum nahm den Bus nach Cuenca, um das Land besser kennenzulernen. Obwohl mir der Ort zunächst fremd war, lebe ich inzwischen seit sechs Jahren glücklich hier.

Die von einer Mauer umgebene Altstadt von Cuenca ist UNESCO-Welterbe.

Als Mittzwanzigerin hatte ich genug vom Großstadt-Leben und suchte eine ausgeglichene Work-Life-Balance

Ich war 2010 nach Toronto gezogen, um dort Journalismus zu studieren. In der Stadt stehen viele Karrieremöglichkeiten offen. Außerdem gibt es eine lebendige Kunstszene. Also blieb ich nach dem Abschluss in der Millionenstadt. Doch im Laufe der Jahre fühlte sich der Alltag zu schnelllebig an, ich war gestresst und alles war teuer.

Während eines kurzen Urlaubs besuchte ich eine Freundin in Kolumbien und entschied, dass ich Südamerika bereisen wollte. Mir fiel die ausgewogene Work-Life-Balance meiner Freundin auf. Sie wanderte zu Wasserfällen, lernte Spanisch und ging an jedem Wochenende tanzen.

Als ich nach Hause zurückkehrte, fühlte sich mein Leben so beengt an – ich wollte das, was sie hatte. Also verabschiedete ich mich zwei Jahre später, 2018, von Toronto. Mein Plan war, ein Jahr zu reisen und dann in einen anderen Teil Kanadas zu ziehen.

Ich hatte genug Geld gespart, um ein Jahr lang günstig zu reisen und anschließend einfach nach Kanada zurückzukehren. Was ich nicht wusste, war, dass mein Abenteuer weit über das Jahr 2018 hinausgehen und bis in meine 30er Jahre mein Leben neu schreiben würde. Ich war schon immer ein Fan von Filmen über Frauen gewesen, die alles aufgeben und anderswo einen Neustart hinlegen. Aber dass ich selbst ein solcher Mensch werden würde, hätte ich nie gedacht.

In Ecuador habe ich mir eine neue Heimat aufgebaut

Nachdem ich meine Visa verlängert und schließlich eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatte, zog ich also fest nach Cuenca, etwa 320 Kilometer südlich von der ecuadorianischen Hauptstadt Quito gelegen. Ich bin aus den gleichen Gründen in Südamerika geblieben, aus denen man an einer Karriere oder einer Beziehung festhält: Ich fühle mich angekommen, war neugierig und motiviert. Mein Leben heute gefällt mir besser.

Ich habe Freundschaften geschlossen und entdecke immer etwas Neues an der Kultur. Die frühen Tage meines Abenteuers waren eine Probezeit. Aber irgendwann, zwischen Touren durch die Berge und dem Spaziergängen durch blühende Landschaften, spürte ich, dass ich hier richtig bin.

Ich habe Vulkane bestiegen, meinen 30. Geburtstag im Amazonas gefeiert, unter den Sternen in den Anden gecampt und war mit Galapagos-Pinguinen schwimmen.

Die kleineren kulturellen Nuancen geben dem Leben hier die Würze. Die Menschen sind stets freundlich: Fremde sagen guten Morgen, Dating-Partnerinnen und -Partner halten die Autotür auf, und bei Events grüßen sich alle gegenseitig, unabhängig davon, ob man einander kennt oder nicht.

Jeden Tag zur Mittagszeit verfällt die Stadt in einen Ruhezustand. Dann genießen die Bewohnenden das traditionelle Essen, den Sonnenschein und die Gesellschaft der anderen. Sie stellen die Arbeit nicht in den Vordergrund ihres ganzen Tuns und riskieren leinen Burnout.

Unsere Autorin verbringt viel Zeit mit Freundinnen und Freunden, hier in einem Pool nahe der Stadt Cuenca.

Ecuador gilt als beliebtes Expat-Ziel – trotz der politischen Lage

Ich miete eine Einzimmerwohnung mit einer schönen Terrasse für umgerechnet 280 Euro im Monat. Ein typisches Mittagessen kostet etwa 2,50 Euro. Mein monatlicher Pilates-Kurs kostet etwa 46 Euro, und ich zahle etwa 19 Euro für Acrylmaniküren. Die meisten meiner Lebensmittel kaufe ich auf einem Markt, wo ich für zwei große Taschen mit Produkten wie Kaffee und Trockenwaren etwa 18 Euro bezahle.

Übrigens zahlen die meisten Einheimischen ein paar hundert weniger an Miete als ausländische Bewohnende. Vor allem gutverdienende Expats müssen typischerweise tiefer in die Tasche greifen. Das hat Konsequenzen. Im Mai berichtete die Zeitung „El Mercurio“, dass Ausländerinnen und Ausländer die lokalen Mietpreise in die Höhe treiben.

Als Expat unterstütze ich hauptsächlich lokale Unternehmen: die Bäckereien, Metzgereien, Obstmärkte, Eckläden und Restaurants in meiner Nachbarschaft. Ich durchkämme auch Kunsthandwerksmärkte nach Möbeln und Dekoration. Und wenn ich mit Freundinnen und Freunden ausgehe, bestelle ich ecuadorianisches Craft-Bier.

Meine Wahlheimat ist ein Hotspot für Nordamerikanerinnen und Nordamerikaner. In einer Volkszählung von 2022 zählte Ecuador 14.424 von ihnen, die offiziell im Land lebten. Es steht auf Platz sechs des diesjährigen Rankings der beliebtesten Länder für den Ruhestand, aufgestellt vom Magazin "International Living".

Doch Ecuador zieht auch jüngere Menschen an: 2022 führte das Land auch ein Visum für digitale Nomadinnen und Nomaden ein, das es Menschen mit einem Job wie mir, erleichtert, im Land zu leben und zu arbeiten.

Ich bin dankbar für die vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten. Den Alltag in Kanada dominieren immer wieder Inflation, Wohnungsknappheit, steigende Mieten, hohe Essensausgabe und eine schrumpfende Mittelschicht. Dies sind ernsthafte Probleme. Wenn ich in Kanada leben würde, stünde ich vor beachtlichen Herausforderungen.

Das Leben in Ecuador hat mir aufgezeigt, was mir wirklich wichtig ist. Zeit in der Natur, Bewegung, frisches Essen, Freundschaften und Kreativität – all das ist jetzt für mich unerlässlich. Ich würde nicht an einem Ort leben, der mir abverlangen würde, auf eines davon zu verzichten.

Das Leben hier ist bestimmt nicht perfekt. Ich erlebe die politische Instabilität mit und kenne die täglichen Stromausfälle im Zuge der Dürre.

Im Moment besteht mein Leben daraus, an Ziegen am Fluss vorbeizulaufen und Energie in den Anden zu finden – Orte, die mich anfangs erschreckten.

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2024-10-29T17:08:08Z