URLAUBSREISEN : REWE-TOCHTER RECHNET DANK FTI-PLEITE MIT REKORDGEWINN

Der nach Tui zweitgrößte europäische Reiseanbieter verdoppelt nach dem Aus des Münchener Konkurrenten FTI den Umsatz – auch dank Schnäppchen aus dessen Nachlass.

Die Insolvenz des Münchener Reiseveranstalters FTI Touristik sorgt bei der Rewe-Urlaubstochter Dertour für stürmischen Zuwachs. „Im Reisemonat Juni zählten wir bei den Sommerbuchungen im deutschen Markt 97 Prozent mehr Umsatz als im Jahr zuvor“, berichtete Geschäftsführer Ingo Burmester dem Handelsblatt. Die Zahl der Gäste habe sich um 81 Prozent erhöht. „Mehr als die Hälfte des Zuwachses stammt aus Umbuchungen ehemaliger FTI-Kunden“, sagte Burmester.

FTI Touristik, mit einem Jahresumsatz von 4,1 Milliarden Euro drittgrößter Reiseveranstalter Europas, hatte Ende Mai beim Amtsgericht München das Insolvenzverfahren beantragt. Verhandlungen mit dem Kaufinteressenten Certares, einem US-Finanzinvestor, waren zuvor gescheitert. Das ertragsschwache Reiseunternehmen hatte rund eine Milliarde Euro Schulden angehäuft, knapp 600 Millionen Euro davon unmittelbar zulasten der Staatskasse.

Auf den Zusammenbruch reagierte die Rewe-Urlaubstochter Dertour in aller Eile. Das Kölner Unternehmen, das unter anderem Reiseveranstalter wie ITS, Meiers Weltreisen, Kuoni oder den Klubbetreiber Aldiana in seinen Reihen bündelt, aktivierte sogleich rund 100 seiner Reiseleiter in den Feriengebieten.

Sie unterstützten gestrandete FTI-Urlauber, verhandelten mit Hoteliers über die Begleichung der Logiskosten und sorgten für Bustransfers und Rückflüge. Zusätzlich schickte die Dertour-Zentrale ein 65-köpfiges „Help-Team“, das eigens für solche Einsätze geschult ist.

„Wir wollten den Ruf der Pauschalreise schützen“, nennt Burmester den Grund seiner Aktion. Dass viele ehemalige FTI-Kunden damit künftig zu den Reisekatalogen von Dertour greifen werden, dürfte ein willkommener Nebeneffekt sein.

„Unser Anspruch ist es, durch das Aus von FTI mindestens 400.000 zusätzliche Gäste zu gewinnen“, gibt der Dertour-Chef die Richtung vor. Zudem prüfe man, Teile des FTI-Imperiums zu übernehmen, falls eine Ergänzung sinnvoll erscheint. Dazu sei man mit Insolvenzverwalter Axel Bierbach in Verbindung.

Auch Tui und Co. erwarten Zugewinne

Beim Wettlauf um die von FTI hinterlassenen Marktanteile sind die Kölner allerdings nicht alleine. Auch Tui erwartet durch den Abgang der Münchener einen steigenden Marktanteil zumindest in Deutschland.

Nachdem die Hannoveraner zuletzt sechs Millionen deutsche Gäste zählten, sollen nach der Planung von Tui-Deutschlandchef Stefan Baumert schon in diesem Sommer durch FTI 300.000 hinzukommen. Für den Winter erwartet er ein Plus von bis zu 150.000 Urlaubern.

Konkurrent Alltours baut insbesondere das Angebot in Ägypten aus, einem der bisherigen Hauptreiseziele von FTI. Im Winter soll es um 50 Prozent auf mehr als 100.000 Gäste wachsen.

Zudem übernimmt das Düsseldorfer Familienunternehmen nach eigenen Angaben über alle Reiseziele hinweg Hotel- und Flugkontingente des insolventen Reiseveranstalters. „Wir stellen bereits einen gestiegenen Buchungseingang über alle Kanäle hinweg fest“, berichtet Alltours-Inhaber Willi Verhuven.

Im Wettbewerb um Marktanteile hat Dertour bereits bei vielen Hotels FTI-Kontingente übernommen, darunter beim Club Paradisio im ägyptischen El Gouna, beim Rocca Nettuno Tropea in Kalabrien oder beim Armella Hill Hotel in Side Antalya. Auch bei mehreren Airlines haben sich die Kölner frei gewordene Sitzplätze gesichert.

Noch ist unklar, ob der Ausfall des Billiganbieters FTI die Urlaubspreise weiter klettern lässt. Für diesen Sommer können die Urlauber aber womöglich aufatmen.

Weil sowohl Hotels als auch Fluggesellschaften die stornierten FTI-Kapazitäten aktuell kurzfristig verwerten mussten, erhielt sie der Dertour-Einkauf teilweise zum Schnäppchenpreis. „Wir können Reisen mit einer Ersparnis bis zu 300 Euro pro Buchung anbieten“, freut sich Burmester. Wegen der kurzfristigen Buchungen verzichtete man im Juni auf Anzahlungen, storniert werden durfte noch drei Tage vor Abreise.

Die Resonanz auf Kundenseite ist offenbar enorm. Für die Türkei verkaufte die Rewe-Tochter im Juni 124 Prozent mehr Urlaubsreisen als im Vorjahresmonat, im Reiseland Ägypten ging es sogar um 260 Prozent nach oben. Auch die Buchungen für Italien und Nordamerika verdoppelten sich gegenüber dem Juni 2023, bei den Dubai-Aufenthalten ging es um 311 Prozent hinauf.

Neben anderen Faktoren habe insbesondere der steile Anstieg im Juni dazu geführt, dass Dertour auf Gruppenebene im ersten Halbjahr 2024 beim Umsatz 28 Prozent über Vorjahr liege, berichtet der Firmenchef. Zudem gab es in den ersten sechs Monaten 25 Prozent mehr Gäste.

Für die Kölner Rewe-Gruppe, die wegen ihrer vergleichsweise hohen Schulden und Zinszahlungen zuletzt nur magere Nettogewinne auswies, wird die FTI-Pleite damit zum Segen. Hatte die Konzerntochter Dertour im Geschäftsbericht für dieses Jahr noch einen Rückgang beim Betriebsergebnis (Ebita) erwartet, weil Personal- und Einkaufskosten steigen, während sich die positiven Wechselkurseffekte von 2023 nicht wiederholen, könnte der Gästezuwachs nun für eine positive Überraschung sorgen.

Für 2024 kommt Rekordgewinn in Sicht

Genaue Ertragszahlen der Reisesparte, die 2023 rund 7,2 Milliarden Euro umsetzte, hält der Konzern in seinem Jahresbericht allerdings unter Verschluss. Rewe-Konzernchef Lionel Souque sprach für 2023 lediglich von „knapp über 100 Millionen Euro“, die er als Rekordgewinn bezeichnete.

Beim geplanten Wachstum wollen die Kölner weiterhin stark auf den Vertrieb über das Reisebüro setzen. Und dies keineswegs nur, weil man mit 450 eigenen und über 1000 Franchise-Agenturen in Deutschland damit Marktführer ist. „Über 60 Prozent der Umbuchung ehemaliger FTI-Kunden kamen übers Reisebüro“, notierte Dertour-Chef Burmester. Hier gebe es zudem eine höhere Kundenzufriedenheit als bei den Online-Buchungen.

An der Treue zu den Reisebüros hatte es allerdings zuletzt Zweifel gegeben. So schloss die Rewe-Tochter vor einem Jahr ein Abkommen mit Booking.com, das die Onlineplattform zu einem wichtigen Vertriebspartner aufwertet. Wer dort den Button „Flug + Hotel“ klickt, gelangt nahezu unbemerkt auf das Reiseangebot von Dertour. Im März 2024 kam eine Kooperation mit der Plattform Agoda hinzu.

Experten vermissen klares Vertriebskonzept

Inzwischen kursiert in der Branche allerdings auch die Erwartung, dass Dertour nach der Reisebüro-Kooperation Raiffeisen Touristik Group (RTG) greifen könnte, von der sich der einstige FTI-Mehrheitsgesellschafter Sawiris offenbar trennen will. Zum mächtigsten Urlaubsvertrieb in Deutschland zählen unter anderem die Franchiseketten Flugbörse, die Marke Sonnenklar TV und die Reisebüros 5 vor Flug.

Ein klares Vertriebskonzept von Dertour vermissen Tourismusexperten deshalb. „Wer einen Schwerpunkt auf die Reisebüros legt“, moniert Marija Linnhoff vom Reisebüroverband VUSR, „sollte sich nicht mit Booking.com ins Bett legen.“

2024-07-04T14:14:48Z dg43tfdfdgfd