FERIEN AUF DER KRIM: WARUM FAHREN URLAUBER IN KRIEGSZEITEN AUF DIE HALBINSEL?

Früher dauerte die Reise vielleicht einen halben Tag. Von Schönefeld ging es in unter drei Stunden nach Moskau, dann ein kurzer Stopp am Flughafen in Wnukowo oder Scheremetjewo. Drei weitere Stunden später war Mascha in Sewastopol – ihrem Sehnsuchtsort. Doch die Zeiten sind längst vorbei, genauer gesagt etwa fünf Jahre.

Nach nun monatelanger Planung – Mascha sagt, es sei ihre erste Krim-Reise seit der Corona-Pandemie – geht es für die in Berlin lebende Deutsch-Russin in diesem Sommer wieder zurück in die „alte Heimat“. Sie schwärmt von den atemberaubenden Klippen, dem kristallklaren Wasser, frischen Früchten und Gemüse, einer Luft, wie aus einem anderen Universum. Ukrainekrieg, Krim-Annexion oder behördliche Hürden spielen zunächst keine Rolle. Zunächst jedenfalls.

„Ich habe auf der Krim noch Familie und wollte gleichzeitig ein paar Sachen erledigen, wie mich mal von russischen Ärzten komplett durchchecken lassen, weil mir hierzulande nicht wirklich weitergeholfen werden konnte“, so der Grund für die mitunter geopolitisch heikle Reise. Denn so einfach mal von Berlin via Moskau auf die Krim zu reisen, ist seit Februar 2022, dem Beginn der russischen Invasion, nicht mehr möglich.

Mascha fliegt zunächst von Berlin über Istanbul an die Schwarzmeer-Metropole Sotschi. So sieht im Übrigen für den Großteil der in Deutschland lebenden Krim-Urlauber die aktuelle Reiseroute aus, was auf Russland spezialisierte Reisebüros der Berliner Zeitung bestätigen. Soweit alles „easy, nur teuer“, wie Mascha sagt. Zwischen 800 und 1600 Euro koste der Spaß bis in die Olympiastadt von 2014 – allein für die Hinreise.

Etwas umständlicher und komplizierter wird es dann in Sotschi. Von dort aus müssen sich die Krim-Urlauber aus der EU nämlich entweder einen auch für westeuropäische Standards überaus teuren Mietwagen holen oder man wählt den Zug. Mascha wählt die Lokomotive. Hier muss sie allerdings erste kleine Tricks anwenden. Mit einer deutschen Kreditkarte oder ähnlichem kann sie in Russland nichts bezahlen. „Ein Glück kenne ich Leute vor Ort, die mir meine Tickets buchen“, erzählt Mascha. Ein anderer in Deutschland lebender Krim-Urlauber berichtet der Berliner Zeitung, er hätte seinen alten Arbeitskollegen in Georgien kontaktiert, damit dieser ihm mit seiner russischen Bankkarte ein Zugticket von Sotschi nach Simferopol kauft. Dem ehemaligen Kollegen wurde dann über PayPal der zu überweisende Geldbeitrag übersendet. „Im Endeffekt alles machbar, wenn man Leute kennt.“

Mehr als 15 Stunden dauert die Bahnreise entlang der russischen Schwarzmeerküste bis zur Halbinsel. Von Sotschi vorbei an Perlen wie Tuapse, Gelendschik, Noworossiysk und Anapa bis zur Brücke nach Kertsch. Mascha erzählt zudem, dass ihr in ihrem Schlafabteil eine Russin aus London begegnet, die ganz ähnliche Pläne habe wie sie. Familie mal wieder besuchen, der „alten Heimat“ einen Besuch abstatten. Auch die Frau aus England ist über Istanbul nach Sotschi geflogen und hat dann den Zug gewählt. Auch ihr haben verbliebene Freunde aus Russland mit dem Kauf des Zugtickets geholfen.

Während sich dann, nach über zwölf Stunden Zugfahrt, an der Kertsch-Brücke eine kilometerlange Autoschlange bildet, passiert die russische Eisenbahn auf ihrer Trasse das berüchtigte Bauwerk „relativ ereignislos“. Dabei ist die Krim-Brücke nicht nur für Urlauber die wichtigste Verbindung vom russischen Festland auf die Halbinsel. Die 19 Kilometer lange und 2018 fertiggestellte Verkehrsader nutzt nämlich auch die russische Armee für ihren Nachschub im Ukrainekrieg.

Zwei große Anschläge gab es bereits: im Herbst 2022 und im Sommer 2023. Insgesamt starben ein halbes Dutzend Russen bei den beiden Angriffen. Ukrainische Militärs und Geheimdienstler verweisen immer wieder daraufhin, dass die Zerstörung der Brücke eines der zentralen Ziele Kiews sei, um den Transport- und Versorgungsweg für russische Truppen zu sabotieren. Russland hat wiederum Radar- und Anti-Drohnenanlagen rund um die Brücke installiert, um das aus ukrainischer Sicht illegale Bauwerk zu schützen.

Hunderttausende Besucher nutzen die Brücke, um auf die Krim zu gelangen oder sie wieder zu verlassen. Offiziellen Zahlen der von Moskau eingesetzten Regionalregierung zufolge wurde die Halbinsel im Jahr 2023 von über fünf Millionen Touristen besucht. Zum Vergleich: Berlin verzeichnete im vergangenen Jahr etwa zwölf Millionen Gäste; das Land Brandenburg weist ähnliche Zahlen wie die Krim auf – knapp über fünf Millionen Urlauber.

Allerdings sind die Zahlen für den russischen Tourismusmagneten wenig zufriedenstellend. Im Jahr 2021 kratzte die Krim noch an der Zehn-Millionen-Besucher-Marke. In der Zeitspanne zwischen Annexion und Kriegsbeginn 2022 stammte ein bedeutender Besucheranteil aus Russen mit mittlerem und hohem Einkommen, die in teuren Hotels, Sanatorien und Resorts übernachteten. Heute stammen die Krim-Gäste eher aus ärmeren Gesellschaftsschichten; sie bringen weniger Geld zum Ausgeben mit.

Neben den Großstädten Moskau und Sankt Petersburg sowie der östlichen Schwarzmeerküste galt die Halbinsel als Flaggschiff der russischen Tourismusbranche. Zwar dürfen überdimensionale internationale Kreuzfahrtschiffe schon seit der Annexion 2014 nicht mehr in der Hafenstadt Sewastopol anlegen – die unmittelbaren Folgen des Krieges haben dem Tourismusstandort jedoch noch weiter zugesetzt. Insbesondere der Vorfall in Sewastopol im Juni sorgte für ein Umdenken.

Am 23. Juni fielen nämlich etliche Trümmerteile amerikanischer ATACMS-Raketen auf den Stadtstrand von Sewastopol. Das russische Verteidigungsministerium gab an, einen ukrainischen Angriff abgewehrt zu haben – wobei ein Gefechtskopf über der Hafenstadt explodiert sei. Videos von blutüberströmten Standbesuchern gingen in den sozialen Netzwerken viral, in den Folgetagen folgten Massenstornierungen von Hotelunterkünften. Mehrere Menschen starben, über Hundert wurden verletzt.

„Der Krieg ist auch hier allgegenwärtig“, sagt Mascha der Berliner Zeitung. Es gebe immer mal wieder Luftalarm, Restaurants und Hotels bauten Schutzkeller, die Nachrichtensender zeigten tagein, tagaus Meldungen aus dem Donbass oder Kursk, entlang der Krim-Autobahn sei russisches Militärgerät omnipräsent, immer wieder seien Vogelscheuchen in Militäruniform zu sehen.

An vielen Gebäuden oder Stränden der Halbinsel herrsche zudem absolutes Fotografierverbot, „was man im Urlaubsmodus nicht immer bedenkt“, berichtet Mascha. Außerdem recherchierten Krim-Urlauber vor ihrer Buchung, ob sich in der Nähe der Unterkunft Häfen, Öldepots, Flugplätze oder andere militärische Einrichtungen befinden. Immer wieder waren solche Orte Ziele der ukrainischen Armee.

Während ihres etwa dreiwöchigen Krim-Aufenthalts hat es mehrere derzeit beispielhafte, absurde Momente gegeben. „Als ich auf einer Geburtstagsfeier in einem Restaurant eine kurze Raucherpause einlegte, passierte ein Militärkonvoi das Etablissement. Drinnen ausgelassene Partystimmung mit lauter Musik und Krim-Sekt, draußen Vorbereitung auf Krieg“, so Mascha.

*Namen wurden im Artikel geändert und sind der Redaktion bekannt.

2024-09-19T05:01:35Z dg43tfdfdgfd