DIE GROßE LUST AUFS WANDERN

Deutsches Wanderinstitut Marburg

Die große Lust aufs Wandern

„Es muss ja nicht an jeder Ecke knallen“ – Klaus Erber, Leiter des Deutschen Wanderinstituts in Marburg, spricht im FR-Interview über die Begeisterung fürs Wandern

Herr Erber, Sie sind Chef des Deutschen Wanderinstituts in Marburg – haben Sie sich eigentlich schon mal beim Wandern verlaufen?

Klaus Erber: Na klar! In Marburg, unserem Institutssitz, liegt die Region Burgwald. Dort kann man sich sehr gut verlaufen. Auf Premiumwanderwegen sollte es aber nicht so leicht sein, die sind sehr gut gekennzeichnet. Es kann natürlich passieren, dass jemand ein Markierungszeichen klaut für den Partykeller oder dass ein Jäger, der niemanden in seinem Revier haben möchte, welche abgeschossen hat. Da gibt’s mal Lücken, aber in der Regel werden die ganz schnell gefüllt.

Das Wanderwegenetz ist ja sehr, sehr weitläufig. Wie merken Sie da, dass etwas fehlt?

Über Wegenetze spreche ich nie. Unsere Wege sind touristische Produkte, als Rundwanderwege oder Streckenwege. Über unsere Webseite kommen meist sehr schnell Mitteilungen von Wanderern, die berichten, es sei ja toll gewesen, aber da und da fehlten Markierungszeichen. Vielleicht hat die Holzabfuhr was abgeräumt oder so. Eigentlich sollte es nicht passieren, aber natürlich kann es vorkommen.

Was halten Sie von Wander-Apps wie Komoot oder Outdooractive? Da sollte man sich ja eigentlich nicht mehr verlaufen, wenn man denn Empfang hat.

Ich freue mich über jeden, der rauskommt, egal wie. Die Apps sind in den letzten Jahren natürlich immer besser geworden. Sie haben aber ein Problem: Dort sind Wege eingestellt aus einer Community, das heißt, jeder kann sich beteiligen. Und das ist in keinster Weise abgeglichen mit Forst oder Naturschutz. Da finden sich viele Wege, die mitten durch Naturschutzgebiete laufen. Ich treffe ja draußen manchmal Leute und frage sie: Sehen Sie denn das Schild hier? Sie sollen hier nicht durchlaufen – und sie meinen dann: Ich habe doch diesen Track, der geht lang. Das sehen wir durchaus als erhebliches Problem.

Kürzlich bin ich beim Wandern einer Frau begegnet, die sich ihre Route hat per Lautsprecher ansagen lassen, als säße sie im Auto ...

Viele Leute sagen aber ganz klar: Wir wollen ja nicht auch noch draußen beim Wandern mit diesem Gerät rumlaufen, wenn wir schon den ganzen Tag vorm Bildschirm verbringen. Wir schauen ja sonst schon ständig aufs Smartphone.

Wandern gilt als sehr naturnah, aber in der Corona-Zeit wurde es doch sehr populär. Ist das manchenorts zu viel der Begeisterung?

Damals haben viele Leute zum ersten Mal entdeckt, dass in greifbarer Nähe irgendetwas existiert, was man bewandern und erleben kann. Wir hatten zu Corona-Zeiten natürlich so was wie „Overtourism“, das tat schon weh. Manche Regionen haben sehr gelitten. Man hat etwa an Abfallbergen und verschmutzten Parkplätzen gesehen, dass viele Leute unterwegs sind, die das Leben draußen überhaupt nicht kennen.

Zur Person

Klaus Erber, geboren 1959 in Kassel und in Gießen aufgewachsen, leitet seit 15 Jahren das Deutsche Wanderinstitut in Marburg. Gegründet wurde das als Verein organisierte Institut im Dezember 2004. Der studierte Geograf ist Nachfolger von Rainer Brämer.

Bisher hat das Institut 772 Wanderwege zwischen Dänemark und Südtirol, Belgien und Österreich zertifiziert, davon 759 in Deutschland. In Hessen gibt es bisher 230 vom Deutschen Wanderinstitut empfohlene Wege. Rund 20 erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dafür tätig.

Unter www.wanderinstitut.de lassen sich die Touren geografisch sortiert samt genauer Beschreibung, Wanderkarten, ÖPNV, Einkehrmöglichkeiten und Sehenswürdigkeiten am Wegesrand recherchieren. aph

Sie forschen auch zum Thema. Wie hat sich Wandern in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Die Menschen wollen sich heute nicht mehr unbedingt einem Verein anschließen, um wandern zu gehen. Man zieht gerne individuell mit Partner oder mit Freunden los. Corona hat das ganze natürlich dann noch mal ganz heftig verstärkt, Die häufigste Gruppengröße sind zwei Personen, das wissen wir aus unseren Befragungen. Es gibt auch einen deutlichen Verjüngungstrend. Beim Durchschnittsalter sind wir jetzt bei 48. Als wir vor 20 Jahren angefangen haben, lag es bei 56. Immer mehr Familien auch mit kleineren Kindern entdecken das für sich. Deshalb haben wir unter anderem den „Premium-Spazierwanderweg“ als kürzeres Format entwickelt, sozusagen als Einstiegsdroge.

Was braucht man für eine schöne Tour, also einen Premiumwanderweg, damit Sie ihn zertifizieren?

Keiner läuft gerne über Pflaster, das heißt, ein Weg sollte nicht mehr als 15 Prozent Asphalt insgesamt haben. Es muss einen guten Grund geben, warum man vielleicht auch mal ein Stück auf Asphalt läuft, etwa weil es zu einer tollen Aussicht führt. Wesentlich ist der Erlebnisfaktor. Ich kann stundenlang durch einen schönen Wald wandern, aber vielleicht fehlt die Abwechslung. Das kann langweilig werden.

Was wäre denn ein Pluspunkt für Sie?

Schön ist es, wenn sich zwischendurch immer mal etwas ändert. Ich komme an einem Gewässer vorbei, es öffnet sich plötzlich der Wald, ich habe eine tolle Aussicht, es ist der richtige Rastplatz an der richtigen Stelle. Das ist bei jedem Weg anders. Es kommt ein bisschen auf die Komposition an. Wenn der Weg 13 Kilometer lang ist und auf den ersten drei Kilometern sein Pulver verschossen hat, ist der Rest langweilig. Dann braucht man den nicht zu zertifizieren.

Kann das funktionieren? Es ist doch wirklich jeder Weg anders...

Wir bewerten Wege mit einem Punktesystem nach 230 Einzelmerkmalen. Ich bin ein Feind von Rankings, aber unsere Bewertung ist auch gar nicht so gemeint, sondern das, was wir ausdrücken wollen, ist die Erlebnisdichte. Ein Weg muss mindestens 55 Erlebnispunkte haben. Die höchstbewertete Wanderung ist auf der Insel Mön in Dänemark mit 102 Punkten.

Was ist denn Ihrer Untersuchung nach der bestbewertete, der schönste Wanderweg in Hessen?

Ach, wissen Sie, wir werden ständig aufgefordert, wir möchten doch bitte ein Ranking auf unserer Webseite veröffentlichen. Das machen wir ganz bewusst nicht. Mir sagen die Leute oft: Ich bin diesmal diesen Weg gelaufen, der hat zwar nur 58 Punkte, aber ich wollte auch mal bei mir sein. Das muss ja nicht an jeder Ecke knallen, um schön zu sein.

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