TARIFVERHANDLUNG IM NAHVERKEHR GESCHEITERT, SO GEHT‘S WEITER

  • Verdi hat im ÖPNV in NRW für Dienstag erneut zu Streiks in mehreren Städten aufgerufen.
  • Die Tarifverhandlungen von Verdi mit den kommunalen Arbeitgebern sind gescheitert.
  • Ein Schlichtungsverfahren ist eingeleitet - ab Mittwoch soll es vorerst keine Streiks geben.

Sie haben heftig mit sich und der Gegenseite gerungen - und letztlich doch kein Ergebnis zustande gebracht: Rund 16 Stunden lang verhandelten Verdi und der kommunale Arbeitgeberverband (KAV) vom Montagmorgen an in Dortmund bis tief in die Nacht, um ihre Tarifrunde am frühen Dienstagmorgen letztlich doch für gescheitert zu erklären. Eine gute Nachricht für die Streik-geplagten Pendlerinnen und Pendler gibt es trotzdem: Die Gewerkschaft hat sich dazu durchgerungen, die von den Arbeitgebern geforderte Schlichtung anzurufen. Die bringt mit sich, dass in dieser Zeit nicht gestreikt werden darf.

Am Dienstag sollen aber noch wie angekündigt mit Beginn der Frühschicht erneut Beschäftigte ausgewählter Betriebshöfe bis zum Ende der Spätschicht ihre Arbeit niederlegen. Betroffen sind dann: Geilenkirchen (Westverkehr), der Rhein-Erft-Kreis (REVG), Mönchengladbach und Viersen (NEW mobil), Gelsenkirchen (Bogestra), Essen (Ruhrbahn), Lüdenscheid und Plettenberg (MVG) sowie Bielefeld (moBiel) und Gütersloh (Stadtbus Gütersloh).

Verdi-Verhandlungsführer: Schlichtung schweren Herzens zugestimmt

„Nach intensiven Verhandlungen haben wir dem Schlichtungsvorschlag der Arbeitgeber schweren Herzens zugestimmt“, erklärte Verdi-Verhandlungsführer Heinz Rech in der Nacht zum Dienstag. Damit würden die Streikmaßnahmen ab Mittwoch und für die Zeit der Schlichtung ausgesetzt. Das Schlichtungsverfahren werde in den kommenden Tagen auf den Weg gebracht. Verdi erklärte, bereits ab Mittwoch und für die Dauer der Schlichtung werde nicht mehr gestreikt.

Der Arbeitgeberverband hatte Verdi vergangene Woche ein deutlich verbessertes Angebot unterbreitet. Es sieht unter anderem bis zu vier zusätzliche freie Tage für bestimmte Beschäftigtengruppen vor. In der gescheiterten dritten Runde hatten die Arbeitgeber zwei geboten und Verdi sechs gefordert. Mit dem neuen Angebot gehe man auf die Forderungen „in weitreichendem Umfang ein“, hatte der KAV erklärt.

Verdi begründete nun das Scheitern der Verhandlungen damit, dass diese zusätzlichen freien Tage nach dem Willen der Arbeitgeber ungerecht verteilt werden sollten. Das habe im Zentrum der Auseinandersetzung gestanden. Für die Gewerkschaft sei dabei entscheidend, keine Beschäftigungsgruppe auszuschließen. „Die Überlastungssituation trifft alle Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr. Für uns war deshalb nicht denkbar, ein Angebot anzunehmen, das Entlastung nur für bestimmte Gruppen vorsieht“, so Verhandlungsführer Rech.

Die knapp 30.000 Beschäftigten im NRW-Nahverkehr hatten sich in einer Urabstimmung mit großer Mehrheit (97 Prozent) für einen regulären Arbeitskampf ausgesprochen. Damit hat die Gewerkschaft Verdi noch härtere Mittel als kurze Warnstreiks und hätte auch nach der gescheiterten vierten Runde zu unbefristeten Streiks aufrufen können. Schon die Warnstreiks vor den Osterferien hatten enorme Wirkung – vor allem für die Pendlerinnen und Pendler im Ruhrgebiet. Ebenso für die Autofahrer unter den Pendlern – in Gestalt noch längerer Staus im Berufsverkehr auf den Revierstraßen als ohnehin üblich.

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Unbefristete Streiks im Nahverkehr gab es in NRW überhaupt erst zweimal: 1974 und 1992, damals standen die Busse und Straßenbahnen zwölf Tage hintereinander still. Um eine histtorische Zuspitzung ging es Verdi diesmal aber offenkundig nicht. Die bewusste Streikpause in den Osterferien war bereits als Signal des Entgegenkommens an die Millionen ÖPNV-Nutzerinnen und -Nutzer deklariert worden. Auch nach der vierten Runde scheut Verdi die ultimative Konfrontation.

Extraschichten und Überstunden belasten Nahverkehrspersonal

Vielleicht auch deshalb, weil die Gewerkschaft mit ihren Streiks die Menschen, die auf den Nahverkehr angewiesen sind, empfindlich trifft, den Arbeitgebern zumindest finanziell aber eher einen Gefallen tut. Denn der Nahverkehr ist für die Kommunen und ihre Verkehrsbetriebe ein Verlustgeschäft, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Unternehmen mit jedem Streiktag viel Geld sparen, vor allem an Personalkosten.

Jörg Jacoby, der Finanzchef der Dortmunder Stadtwerke DSW21, bezifferte den eingesparten Betrag pro Streiktag auf Nachfrage unserer Redaktion auf rund 200.000 Euro. Bei sechs Streiktagen vor der Urabstimmung macht das allein für die Dortmunder Verkehrsbetriebe rund 1,2 Millionen Euro. Allerdings betonte Stadtwerke-Chefin Heike Heim trotzdem, dass sie auf eine schnelle Einigung der Tarifpartner hoffe, „wir wollen schließlich fahren“, sagte sie.

Verdi-Forderungen kosten 165 Millionen Euro pro Jahr

Der Verhandlungsspielraum für die Arbeitgeber bleibt eng. In diesem Tarifkonflikt geht es zwar nicht um höhere Löhne, sondern „nur“ um einen neuen Manteltarif, der etwa Arbeitszeiten, Schichtdienste und Zuschläge regelt. Doch die Verdi-Forderungen würden laut KAV 1700 zusätzliche Beschäftigte erfordern und die rund 30 Verkehrsbetriebe insgesamt 165 Millionen Euro jährlich kosten.

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Verdi fordert Entlastungen vor allem für das Fahrpersonal im Schichtdienst, weil es etliche Extraschichten leiste und unzählige Überstunden ansammle. Weitere Forderungen sind ein identischer Ort für Arbeitsbeginn und -ende des Fahrpersonals, Schicht- und Wechselschichtzulagen, eine Jahressonderzahlung in Höhe eines vollen Monatsentgelts und die Erfassung von Überstunden ab der ersten Minute.

In Schleswig-Holstein und anderen Ländern gibt es bereits Tarifeinigungen

In anderen Bundesländern, so in Schleswig-Holstein, Hamburg, dem Saarland, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, konnten sich Verdi und Arbeitgeber inzwischen einigen. In Schleswig-Holstein etwa gehören auch zwei zusätzliche Entlastungstage dazu. In anderen Ländern wie Sachsen-Anhalt gab es klassische Lohnrunden. Da sich die Themen und Forderungen von Land zu Land teils stark unterschieden haben, lassen sie sich nur schwer auf andere Länder übertragen.

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