OLAF SCHOLZ IN CHINA: AUßER SPESEN NICHTS GEWESEN? DREI BITTERE ERKENNTNISSE DER KANZLER-REISE

Es ist gut, dass Olaf Scholz nach China reiste. Viel zu holen war dort allerdings nicht. Über einen teils ernüchternden Trip.

Er hat sich Zeit genommen. Gut drei Stunden saß Xi Jingping mit seinem Gast aus Deutschland beisammen, 45 Minuten unter vier Augen, ein Mittagessen, eine größere Runde. Nun sagt die Dauer politischer Gespräche selten etwas darüber aus, wie erfolgreich sie verliefen, aber dass der Chinese den Kanzler nicht gleich nach dem Handschlag wieder hinauskomplimentierte, ist erst einmal ein gutes Zeichen. In diesen Zeiten weiß man ja nie.

Aber was bleibt von dieser Reise? Wie sieht die Bilanz aus?

Halbwegs zufrieden gibt man sich im Lager des Kanzlers, was allerdings in etwa so überraschend ist wie die Feststellung, dass nach Montag der Dienstag kommt. Beim Thema Ukraine habe sich Xi offener gezeigt als früher, gesprächsbereiter. Das Wort Frieden nehmen die Chinesen jetzt mal in den Mund und man hielt fest, sich an die Charta der Vereinten Nationen zu halten. Wobei die Nachricht daran eigentlich ist, dass man das dieser Tage noch schriftlich betonen muss.

Bei Lichte betrachtet war es ein in Teilen ernüchternder Besuch, auch was die Zukunft der Ukraine angeht. Nach dem Gespräch mit Xi kursierte ein Satz, den der Präsident in größere Runde gesagt haben soll. Alle Länder müssten Platz am Tisch haben, keins dürfe "auf der Speisekarte stehen".

Manch einer auf deutscher Seite meinte darin einen Beleg dafür zu sehen, dass China seinem Verbündeten Russland vielleicht doch bald mal Einhalt gebieten könnte. Xi, so die Deutung, könne mit dem Satz ja nur das Schicksal der Ukraine gemeint haben. Wer, bitte schön, sollte denn sonst gerade verspeist werden?

Die Chinesen wollen mit Olaf Scholz reden – mehr nicht

Es passt zu der schwierigen Reise, dass man Xis Zitat so oder so interpretieren kann. Lässt sich der Satz nicht auch als Warnung davor verstehen, Russland in den Versuchen, den Krieg diplomatisch zu lösen, außen vor zu lassen?

Dass man in Gesprächen nach konkreten Erfolgen sucht, als wäre es die Nadel im Heuhaufen, hat sich der Kanzler in gewisser Weise selbst zuzuschreiben. Als er beim letzten Mal in Peking war, im November 2022, feierte er es als großen diplomatischen Erfolg, Xi eine Warnung vor dem Einsatz von Atomwaffen abgerungen zu haben. Ein solch klares Ergebnis fehlt diesmal. Selbst der Frage, ob China an der Friedenskonferenz teilnehmen werde, die die Schweiz für Mitte Juni gerne ausrichten würde, entzogen sich der Präsident und seine Leute.

Man sei gerne bereit, darüber "positiv" zu sprechen, heißt es nach dem Treffen von Scholz und Xi aus dem chinesischen Außenministerium. Motto: Macht ihr mal Eure Planung. Wir schauen dann, wie es passt. 

Für die Ukraine, das ist die erste bittere Erkenntnis dieser Reise, dürfte sich so schnell nichts ändern. China genießt seine Schlüsselrolle fast bis zur Schmerzgrenze. Realpolitisch ist das nachvollziehbar. Der Krieg schwächt Europa, spaltet den amerikanischen Kongress und macht Russland noch abhängiger von Peking. Und was die Weltwirtschaft angeht, sind die Folgen des Kriegs darin längst eingepreist. Aus Sicht von Xi spricht gerade nicht allzu viel dafür, den Status rasch zu verändern.

Übrigens: Chinas Wirtschaft schoss im ersten Quartal um rund fünf Prozent nach oben. Li Qiang, der Ministerpräsident, vergaß nicht, diese Meldung bei einem Auftritt mit Scholz zu erwähnen. Subtext: Also, Olaf – bei uns läufts.

Plötzlich belehrt der Ministerpräsident den Kanzler

Erkenntnis Nummer zwei: China will sich, vorsichtig formuliert, nirgends reinreden lassen. Nicht in der Sicherheitspolitik, schon gar nicht in der Wirtschaftspolitik. Grob formuliert, stört den Kanzler auf letzterem Feld folgendes: China subventioniert im Bereich der Autos oder der erneuerbaren Energien manche Firmen so sehr, dass diese zu viel produzieren – und ihre Waren zu Billigpreisen auf den europäischen Markt werfen.

In seinem Gespräch mit Li Qiang äußerte der Kanzler offen seine Bedenken über die chinesischen Überkapazitäten. Das missfiel dem Ministerpräsidenten offenbar so sehr, dass er beim gemeinsamen Auftritt in ein Referat verfiel, das so klang, als sei er nicht in der kommunistischen Partei groß geworden, sondern ein Schüler Friedrich August von Hayeks.

Er wolle doch mal auf die Theorie von Angebot und Nachfrage aufmerksam machen, sagte Li Qiang. Man solle die Angelegenheit doch bitte "aus der Sicht des Marktes sehen". Manche Firmen gingen eben auch mal bankrott. Industriesubventionen seien überall eine gängige Praxis und im Übrigen solle man doch lieber darüber reden, wie man den freien Handel intensiviere. "Tauschen wir die Gaben aus und entzünden wir ein Licht am anderen Licht", zitierte Li Qiang ausgerechnet den deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz. Scholz lächelte gequält.

Auch die China-Strategie der Bundesregierung hat man offenbar in Peking genau gelesen und für irritierend befunden. Jedenfalls wirkte es, als müsse sich Scholz schwer bemühen, den Chinesen zu versichern, man wolle sich keinesfalls von China entkoppeln. Es gehe darum, die Zusammenarbeit "in allen Dimensionen" weiterzuentwickeln, betonte der Kanzler. Das klang nicht danach, als nehme er die restriktive Strategie der eigenen Regierung sonderlich ernst. Gemessen daran, wie mancher Firmenlenker während der Reise über den Handel mit China sprach, wirkte er während des Trips aber noch wie das personifizierte Risikobewusstsein. 

Die Konzernchefs scheinen fast risikoblind 

In der Riege der Konzernchefs – Erkenntnis Nummer drei – muss man lange suchen, um jemanden zu finden, der die Gefahren einer engeren wirtschaftlichen Verzahnung wenigstens ansatzweise ernst nimmt. Der Handel soll blühen, die EU bloß die Finger davon lassen, Zölle zu erheben, um sich gegen die Flut an Billigprodukten zu wehren. Das ist der Tenor. 

"De-risking"? Gern. Aber doch nicht, indem man aus Angst vor dem Tod den Handel mit China einschränke. Und wenn die Volksrepublik sich in nächster Zeit Taiwan einverleibte und die Amerikaner Sanktionen verhängten, die direkt oder indirekt auch ihre Firmen treffen würden? Der Gedanke scheint niemanden wirklich zu stören. 

Fast meint man, deutsche Konzerne würden sich schon wieder darauf verlassen, im Zweifel vom Steuerzahler aufgefangen zu werden. Nur sinkt diese Bereitschaft eben. Politisch, gesellschaftlich. Das lässt sich in aller Zurückhaltung sagen.

Ist so eine Reise also falsch? Nein, gar nicht. Ganz grundsätzlich nicht, weil es schon Sinn macht, in solchen Zeiten immer wieder zu prüfen, ob es bei allen Differenzen womöglich doch Felder gemeinsamer Interessen gibt. Und aus Scholz‘ Sicht ist so eine Reise sowieso richtig, wirkt er doch wie ein Kanzler, der sich kümmert. Der um Frieden kämpft, um deutsche Interessen. Und um einen besseren Zugang für deutsche Produkte.

Am späten Nachmittag wurde dann doch noch eine Absichtserklärung unterzeichnet. Man einigte sich auf neue Regeln für die Ausfuhr frischer deutscher Äpfel nach China.

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