MUSLIME IN ITALIEN

Es geschah im Dezember 2021 und war eine Erschütterung von nationalem Ausmaß. Denn sie betraf das Strandleben – neben der Familie und dem Essen, dem Fußball und der Kirche einer der Grundpfeiler italienischer Alltagskultur und Lebenskunst. In Monfalcone, einer Stadt von rund 30.000 Einwohnern, im Nordosten des Landes nahe der Grenze zu Slowenien gelegen, war ein Abschnitt der Küste in die Hände eines multinationalen Konzerns aus dem Ausland geraten: des Energydrink-Produzenten Red Bull.

Das österreichische Unternehmen hatte sich bei der öffentlichen Ausschreibung für den Betrieb und den Ausbau des Areals „Marina Nova“ gegen alle italienischen Konkurrenten durchsetzen können. Über die Einzelheiten des Geschäfts bewahrten Rathaus und Red Bull Stillschweigen. Ein unterlegener Mitbewerber aus dem Inland klagte, scheiterte aber vor dem Verwaltungsgericht in Triest. Aus Medienberichten war zu erfahren, die Österreicher hätten neun Millionen Euro gezahlt, für den Erwerb der Marina und für die Pacht eines kleinen Strandabschnitts am Golf von Triest für zunächst fünfzehn Jahre. Die Investitionen für den Ausbau des Segelschiff- und Yachthafens sowie für die Modernisierung und Erweiterung des Strandbads seien dabei noch gar nicht mitgerechnet, hieß es.

Ausländer sind eher als Gäste willkommen

Man sprach von einem sehr guten Geschäft für die Stadt Monfalcone. Denn gewöhnlich bezahlen die einheimischen Betreiber der berühmt-berüchtigten „stabilimenti“ einen geringen, manchmal nur symbolischen Pachtzins an die betreffenden Städte und Gemeinden. Ein „stabilimento“ ist ein Strandbad, in welchem sich der italienische Urlauber sowie der Sommerfrischler aus dem Ausland eine oder mehrere der in Reih und Glied aufgestellten Liegen sowie den dazugehörigen Sonnenschirm mieten können – für einen Tag, für eine oder mehrere Wochen oder, mit Preisnachlass, gleich für die ganze Badesaison von Mai bis September. Die Nutzung der Umkleidekabinen und Duschen, der Sportanlagen und Vergnügungseinrichtungen – soweit vorhanden – ist im Mietpreis für Liege und Sonnenschirm inbegriffen. Das zweite Frühstück, das Mittagessen und den Snack am Nachmittag, gerne auch den „aperitivo“ vor dem Abendessen, nehmen der urlaubende Italiener und der ausländische Tourist gewohnheitsmäßig im Restaurant und in der Strandbar seines Stamm-Stabilimento ein. Und wenn der Bademeister am Abend die Liegen zusammenklappt und die Sonnenschirme schließt, dann geht eine famose „giornata al mare“ zu Ende – ein Tag am Meer, der seine Einzigartigkeit gerade seiner Eintönigkeit verdankt.

Der Sommer und die Ferien, also die Sommerferien, sind in Italien ein Nationalritual. Ausländer sind als Gäste herzlich willkommen, schließlich macht der Fremdenverkehr ein gutes Sechstel der Wirtschaftsleistung des Landes aus. Als Betreiber der „estate italiana“, des italienischen Sommers, sieht man Ausländer aber nicht so gern. Schon 2006 haben das Europaparlament und die Brüsseler Kommission die nach dem niederländischen EU-Kommissar Frits Bolkestein benannte „Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt“ beschlossen. Die Bolkestein-Richtline sieht vor, dass auch Konzessionen für den Betrieb von Badeanlagen in einem transparenten Ausschreibungsprozess in der gesamten EU vergeben werden müssen – mit gleichen Bedingungen und Chancen für alle Bewerber. Italien ignoriert die Norm seit je. In Rom haben Regierungen aller politischen Couleur allenfalls halbherzige Versuche unternommen, Bolkestein in Italien durchzusetzen, während Brüssel allenfalls halbherzig mit Sanktionen droht. Bis heute bleibt es faktisch den Kommunen überlassen, ihre opaken Ausschreibungsverfahren zu reformieren und die Laufzeit der Pachtverträge zu verkürzen. Oder eben auch nicht.

Nach Angaben der italienischen Umweltschutzorganisation „Legambiente“ gibt es an Italiens Küsten rund 14.000 „stabilimenti“ – Campingplätze und Touristendörfer mit eingerechnet. In den Ferienmonaten erwirtschaften sie einen Umsatz von gut 15 Milliarden Euro und beschäftigen bis zu 300.000 Personen. 98 Prozent der Strandbäder sind im Familienbesitz, viele von ihnen seit Generationen. Der bewirtschaftete Strandabschnitt gehört nicht den Betreibern, sondern der Öffentlichkeit: dem Staat oder der betreffenden Kommune. Die Städte und Gemeinden verpachten die Strandabschnitte oft über sehr lange Zeiträume und oft zu sehr günstigen Konditionen. Was den Verdacht des Nepotismus oder gar der Korruption nahelegt. Landesweit zahlen die italienischen Strandbadbetreiber etwa 100 Millionen Euro jährlich Pachtzins an die italienischen Gemeinden, das entspricht gerade einmal 0,67 Prozent des Jahresumsatzes aller „stabilimenti“.

Deshalb erregte der Casus „Marina Nova“ von Monfalcone so viel Aufsehen: Eine italienische Stadt verpachtete erstmals ein Strandbad an ein ausländisches Unternehmen und machte dabei offenbar ein besseres Geschäft, als wenn es in der Hand eines italienischen Familienbetriebs geblieben wäre. Dabei ist das neue Red-Bull-Lido mit dem eher schmalen Kieselstrand kein Schmuckstück, jedenfalls noch nicht. Die Winterstürme haben allerlei Strandgut angeschwemmt, auch manchen Schaden angerichtet. Derzeit wird überall kräftig gewerkelt, die Badesaison steht vor der Tür. Aus der Baustelle fürs neue Restaurant hallen Hammerschläge. Die Liegen und die Sonnenschirme werden aus dem Lager geholt.

„Kein fairer Wettbewerb“

Richtet man den Blick vom Strand aus nicht auf die schimmernde Adria, sondern zur Küste hin, bietet sich ein wenig pittoreskes Panorama. Kräne und Kaimauern prägen das Bild. Frachtschiffe liegen vor Anker, Ozeanriesen im Hafen. Monfalcone ist Sitz der größten Werft Europas, gegründet 1908 von der Triester Unternehmerfamilie Cosulich, heute betrieben vom Schiffbaugiganten Fincantieri. Der gehört zu gut zwei Dritteln dem italienischen Staat und lässt derzeit hier drei Kreuzfahrtschiffe der jüngsten Generation zusammenschweißen. Es ist die Entwicklung Monfalcones als Indus­triestandort, die mehr noch als die Verpachtung eines Strandbads an Red Bull ein Schlaglicht auf das „Ausländerpro­blem“ Italiens wirft.

Die Fincantieri-Werft beschäftigt heute rund 8500 Arbeiter. Doch nur rund 1700 von ihnen sind Italiener, die direkt von der Fincantieri AG angestellt sind. 6800 Werftarbeiter sind qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, die meisten von ihnen aus Bangladesch. Sie wurden von Subunternehmen rekrutiert und verdienen deutlich weniger als ihre einheimischen Kollegen. Gewerkschaftsführer begehren seit Jahr und Tag vergeblich gegen die Lohndrückerei der Arbeitsvermittler auf. „Wir sind nicht dagegen, dass Menschen nach Monfalcone ziehen, denn wir brauchen Arbeitskräfte“, sagt Thomas Casotto vom Gewerkschaftsbund CGIL. „Aber die Löhne, die die Migranten bekommen, sind dann nochmals niedriger, als ihnen versprochen wurde.“ So könne es „keinen fairen Wettbewerb“ zwischen einheimischen und zugewanderten Arbeitern geben, klagt Casotto.

Derweil hat die Stadt in den vergangenen Jahren buchstäblich ihr Gesicht verändert. Inzwischen haben mehr als 30 Prozent der Einwohner von Monfalcone einen Migrationshintergrund, so viele wie in kaum einer anderen Stadt Italiens, Tendenz steigend. Rund die Hälfte der Zugewanderten stammt aus Bangladesch. Es sind die Leiharbeiter von Fincantieri und deren Familienangehörige, die entweder aus Südasien nachgezogen sind oder, zu einem immer größeren Anteil, schon in Italien geboren wurden. Einzelhandelsgeschäfte und Handwerksbetriebe, Restaurants und Barbiere werden von Bangladeschern geführt und frequentiert. Viele Radler in Monfalcone tragen Pluderhose oder Kaftan, für die meisten Bangladescher ist das Fahrrad das bevorzugte, weil erschwingliche Transportmittel. Mütter mit Kinderwagen sind in der Mehrzahl verschleiert.

Mit ihrem muslimischen Glauben sind die Bangladescher von Monfalcone tiefer verbunden als die Einheimischen mit dem Katholizismus: Während sonntags immer weniger Leute in die vielen Kirchen der Stadt gehen, brauchte es Moscheen fürs Freitagsgebet. Die haben die Muslime von Monfalcone informell in Einkaufszentren und in Lagerhallen eingerichtet und sie als Kulturzentren „Darus Salaam“ und „Baitus Salat“ ausgewiesen.

Anna Maria Cisint ist seit 2016 Bürgermeisterin von Monfalcone. Sie gehört zur rechtsnationalen Partei Lega von Vizeministerpräsident Matteo Salvini. 2022 wurde sie für eine zweite Amtszeit wiedergewählt, mit gut 72 Prozent der Stimmen setzte sie sich gegen ihre Herausforderin von der Linken durch. Cisint klagt seit Langem über die nach ihrer Ansicht mangelnde Integrationsbereitschaft der Neubürger ihrer Stadt. Auf der anderen Seite fühlen sich die Muslime der Stadt, namentlich die aus Südasien, einer Diskriminierungskampagne aus dem Rathaus ausgesetzt. Im vergangenen Sommer verbot die Bürgermeisterin das Baden im Burkini an den Stränden von Monfalcone. „Ich bin eine Frau und eine Mutter“, sagt Cisint, „und ich will in Italien künftig keine Töchter sehen, die sich verschleiern müssen, als Kinderbraut verheiratet oder im gebärfähigen Alter wie Sklaven gehalten werden.“

Zuletzt haben sich die Spannungen zwischen der Bürgermeisterin und den Muslimen von Monfalcone gefährlich zugespitzt. Im November verfügte Cisint die Schließung der beiden Kulturzentren, weil diese als Gotteshäuser in Gebäuden genutzt worden seien, die für religiöse Zwecke nicht zugelassen waren. Viele Muslime empfanden die unvermittelte Schließung der Zentren ebenso als Provokation wie den Umstand, dass Cisint nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober die israelische Flagge am Rathaus aufziehen ließ. Am 23. Dezember folgten rund 8000 Muslime dem Aufruf von Imam Abdel Majid Kinani zu einer Demonstration gegen die Politik der Bürgermeisterin. Die Menge schwenkte Fähnchen in den italienischen Farben und Europafahnen.

Verbrannte Koranseiten

Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan kommen die Muslime unter freiem Himmel vor einem ihrer für Gottesdienste gesperrten Kulturzentren zum Freitagsgebet zusammen. Vor wenigen Tagen verfügte das Verwaltungsgericht in Triest, dass die Stadt Monfalcone für die muslimischen Gläubigen einen öffentlichen Raum zur Ausübung ihres verfassungsmäßigen Rechts der freien Religionsausübung zur Verfügung stellen müsse. Sollte die Stadt dieser Aufforderung nicht unverzüglich nachkommen, werde man die Muslime von Monfalcone am 9. April zu Eid al-Fitr, der Feier des Fastenbrechens zum Ende des Ramadans, auf den Platz der Republik vor dem Rathaus einladen, sagt Bou Konate, Sprecher des islamischen Kulturzen­trums „Darus Salaam“ in der Via Duca d’Aosta. Dort war schon wenige Tage nach der Schließungsverfügung für dortige Gottesdienste ein anonymer Brief mit zwei halb verbrannten Seiten des Korans eingegangen.

Auf der anderen Seite des unvermittelt aufgerissenen Grabens zwischen Muslimen und Christen, zwischen Migranten und Einheimischen von Monfalcone sieht sich Bürgermeisterin Cisint nun Morddrohungen ausgesetzt. Seit vergangener Woche steht sie unter Polizeischutz. Polizeipräsident Luigi Di Ruscio hat dazu aufgerufen, von weiteren Zuspitzungen, Drohungen und Provokationen abzusehen. Ein öffentliches Gebet Tausender Muslime vor einem italienischen Rathaus, vor welchem aus Solidarität mit Israel die Flagge mit dem Davidstern aufgezogen ist, dürfte eher nicht zum Abbau der Spannungen beitragen.

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